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Eilanträge gegen Rund-um-die-Uhr-Bewachung ohne Erfolg

Datum: 03.01.2011

Kurzbeschreibung: PM vom 03.01.2011

Das Verwaltungsgericht Freiburg hat mit Beschlüssen vom 29.12.2010 die Eilanträge dreier aus der Strafhaft mit anschließender Sicherungsverwahrung entlassener Sexualstraftäter auf Beendigung der polizeilichen Observation abgelehnt (Aktenzeichen: 4 K 2629/10, 4 K 2631/10, 4 K 2633/10).

Die drei Männer waren Mitte des Jahres 2010 als Folge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden und werden seither in Freiburg rund um die Uhr von der Polizei observiert. Der Leiter der Polizeidirektion Freiburg hatte die längerfristige Observation nach § 22 Absatz 6 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg (PolG) angeordnet und in der Folgezeit verlängert, nachdem die Risikobewertung des Landeskriminalamts ergeben hatte, dass von allen drei Tätern mit erhöhter Wahrscheinlichkeit nach wie vor Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit Dritter ausgingen. Gegen die Observation suchten die Betroffenen beim Verwaltungsgericht Freiburg um vorläufigen Rechtsschutz nach und machten geltend, von ihnen gehe keine Gefahr mehr aus. Außerdem verstoße die Art und Weise der Observation gegen ihr Recht auf individuelle Selbstbestimmung und ihre Menschenwürde.

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Freiburg ist diesem Vorbringen nicht gefolgt. In ihren Beschlüssen vom 29.12.2010 hat sie ausgeführt, die Antragsteller hätten die plausible Risikobewertung des Landeskriminalamts und die einschlägigen psychiatrischen Gutachten nicht hinreichend in Frage gestellt. Daher sei die Einschätzung der Polizeidirektion, die Observation der Antragsteller sei derzeit (noch) zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person (§ 22 Absatz 3 Nummer 1 PolG) bzw. zur Vorbeugung der Bekämpfung von Verbrechen (§ 22 Absatz 3 Nummer 2, Absatz 5 Nummer 1 PolG) angezeigt, voraussichtlich nicht zu beanstanden. Allerdings sei der Polizeivollzugsdienst auch gehalten, seine Gefahrenprognose den sich wandelnden Verhältnissen gegebenenfalls anzupassen. Namentlich biete das Polizeirecht keine Handhabe zur Dauer-Überwachung von Menschen, von denen anzunehmen sei, dass das in der Vergangenheit prognostizierte Risiko zwischenzeitlich nicht mehr oder nur noch eingeschränkt bestehe oder bei denen andere - mildere - Mittel in gleicher Weise zur Gefahrenabwehr geeignet sein könnten. Jedenfalls für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sei jedoch weiter von einer konkreten Gefahrenlage für hochrangige Rechtsgüter Dritter auszugehen, nachdem die Antragsteller sich während der Sicherungsverwahrung einer therapeutischen Aufarbeitung ihrer Sexualstraftaten versagt hätten und ihnen derzeit auch kein belastbarer „sozialer Empfangsraum“ zur Verfügung stehe.

Allerdings müsse die Observation dem in Art. 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Absatz 1 GG unverbrüchlich garantierten Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung tragen. Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes erfordere, dass die Betroffenen nicht Gefahr liefen, zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert zu werden. Das sei der Fall, wenn die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lasse, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukomme und zwar auch dann, wenn der von der Observation Betroffene die Menschenwürde seiner Opfer bei der Begehung von Straftaten mit Vehemenz negiert habe. Der Staat habe beim Umgang mit gefährlichen Menschen dem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in jedem Falle Rechnung zu tragen. Dies setze voraus, dass der Einzelne über einen dafür geeigneten und ausreichenden Freiraum verfüge.

Die Observation durch den Polizeivollzugsdienst werde diesen Anforderungen voraussichtlich gerecht, zumal nach dem Einsatzkonzept der Polizei in den Wohnräumen der Antragsteller keine Observation stattfinde und außerhalb der eigenen Wohnräume eine vertrauliche Kommunikation der Antragsteller, z.B. mit Rechtsanwälten und Ärzten, möglich sei. Gleichwohl sei nicht zu verkennen, dass die Antragsteller sich außerhalb ihres Wohnraums nur in dem Bewusstsein fortbewegen könnten, dass ihnen Polizeibeamte folgen. Hierdurch würden sie in ihrer privaten Lebensgestaltung in erheblicher Weise beeinträchtigt und - was auch im Hinblick auf ihre Integration in die Gesellschaft schädlich sei - für die Außenwelt stigmatisiert. Diese Einschränkungen der privaten Lebensgestaltung müssten aber angesichts der von ihnen nach Einschätzung des Landeskriminalamts und der Gutachter noch ausgehenden Gefahren derzeit hingenommen werden.



Die Beschlüsse sind noch nicht rechtskräftig. Die Antragsteller können innerhalb von zwei Wochen Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einlegen.

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