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Keine weitere polizeiliche Dauerobservation eines früheren Sexualstraftäters

Datum: 22.02.2013

Kurzbeschreibung: PM 22.02.2013

Für die jahrelange Observation als rückfallgefährdet angesehener Sexualstraftäter zum Zwecke der Verhinderung erneuter Sexualstraftaten fehlt es in Baden-Württemberg derzeit an einer Rechtsgrundlage.

Das entschied jetzt das Verwaltungsgericht Freiburg mit einem den Beteiligten jüngst bekannt gegebenen Urteil (Urt. v. 14.2.2013 - 4 K 1115/12 -). Es untersagte der Polizeidirektion Freiburg, die Observation des Klägers, eines mehrfach verurteilten Sexualstraftäters, weiter fortzuführen. Dieser war im September 2010 aufgrund eines Urteils des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden. In ihr hatte er sich zwanzig Jahre lang - davon zehn Jahre zu Unrecht - befunden, weil er in der Zeit von 1976 - 1985 Vergewaltigungen begangen hatte, dafür mehrfach verurteilt und seit Verbüßung seiner letzten Haftstrafe als rückfallgefährdet eingeschätzt worden war. Seit der Entlassung aus der Sicherungsverwahrung waren ihm in den letzten zwei Jahren außerhalb seiner Wohnung Zivilbeamte auf Schritt und Tritt überall hin gefolgt, um so womöglich erneuten Sexualstraftaten vorzubeugen.

Das Gericht führte aus, diese insgesamt 17 mal vom Leiter der Polizeidirektion Freiburg für jeweils mehrere Wochen angeordnete Dauerobservation stelle einen schweren Grundrechtseingriff dar. Denn auch einem Mehrfach-Sexualstraftäter stehe ein Recht auf einen Bereich autonomer privater Lebensgestaltung auch außerhalb seiner häuslich privaten Sphäre zu. Für einen solchen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bedürfe es daher einer speziellen und ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Diese fehle hier.

Die Vorschrift im Landespolizeigesetz, die „als besonderes Mittel der Datenerhebung“ eine - ohnehin nur zeitlich begrenzte - Observation zum Zwecke der Sammlung personenbezogener Daten des Observierten zulasse, tauge nicht als Rechtsgrundlage für die jahrelange Dauerüberwachung. Denn im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Gewinnung von Erkenntnissen über die persönlichen oder sachlichen Verhältnisse oder um die Herstellung von Bewegungsprofilen des der Polizei ja bereits wohlbekannten Klägers. Vielmehr diene die völlig offene Überwachung in Form seiner dauernden Begleitung durch Zivilbeamte allein der Abwehr von ihm womöglich ausgehender Übergriffe. Dafür sei die gesetzliche Regelung aber nicht geschaffen worden. Bereits der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe im Herbst 2011 Zweifel an der Tauglichkeit dieser Vorschrift als Rechtsgrundlage für eine jahrelange Dauerüberwachung geäußert. Trotzdem habe der Gesetzgeber bis heute keine neue spezielle Gesetzesgrundlage geschaffen. Die Vorschrift könne deshalb nicht - auch nicht mehr übergangsweise - als noch ausreichende Rechtsgrundlage herangezogen werden.

Das gelte auch für die Bestimmung im Landespolizeigesetz, welche die Polizei ganz pauschal ermächtige, zur „Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ die „nach ihrem Ermessen erforderlichen“ Maßnahmen zu treffen. Auch auf diese Vorschrift lasse sich die langjährige Observation jedenfalls heute nicht einmal mehr übergangsweise stützen. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber dürfe nämlich wesentliche Entscheidungen nicht der Verwaltung als vollziehender Gewalt überlassen. Vielmehr sei er gehalten, für intensive, besondere polizeiliche Eingriffe deren Anlass, Zweck und Grenzen selbst hinreichend klar und bestimmt durch eine spezifische gesetzliche Ermächtigungsvorschrift ausdrücklich festzulegen. Das habe der Gesetzgeber aber bisher trotz ausreichend langer Übergangszeit nicht getan.

Das Gericht führte außerdem aus, die Observation sei nicht nur mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig. Selbst wenn die genannten Vorschriften bis zu einer speziellen Regelung der Materie durch den Gesetzgeber noch übergangsweise als Grundlage akzeptiert würden, fehle es nämlich im konkreten Fall an einer vom Kläger für Dritte noch ausgehenden aktuellen und konkreten Gefahr.

Zu dieser Einschätzung kam das Gericht aufgrund der in der fünfstündigen mündlichen Verhandlung durchgeführten ausführlichen Anhörung des Klägers selbst, seines Bewährungshelfers, des behandelnden Psychotherapeuten und der ihn überwachenden Polizeibeamten. Das letzte Gutachten, das dem Kläger noch eine gewisse Rückfallgefährdung attestiere, stamme noch aus der Zeit der Sicherungsverwahrung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse eine aktuelle Prognose aber auf der Basis des Verhaltens in Freiheit angestellt werden. Insoweit aber ergebe sich eine Gefährdung entgegen der Ansicht der Polizei nicht schon daraus, dass der Kläger nicht ausreichend mit den ihn überwachenden Polizisten kooperiere. Denn dazu sei er rechtlich nicht verpflichtet. Der Kläger sei seit der Erledigung der Sicherungsverwahrung im Jahr 2010 ein freier Mann, der die Weisungen der Führungsaufsicht einzuhalten habe, was er auch tue, der sich aber im Übrigen ebenso verhalten könne wie jeder andere freie Mensch. Der Kläger sei insbesondere nicht verpflichtet, seine Aktivitäten, insbesondere Fahrradtouren, den observierenden Polizeibeamten vorher ankündigen. Für das Gelingen der Observation müsse er nicht Sorge tragen. Unkooperatives Verhalten in diesem Zusammenhang könne ihm daher nicht vorgeworfen werden. Der Kläger nehme im Übrigen regelmäßig und pünktlich, ohne dass er dazu verpflichtet sei, an einer wöchentlichen Psychotherapie teil und habe nach Aussagen des Therapeuten nachvollziehbar Fortschritte gemacht. Der Bewährungshelfer schätze wie auch der behandelnde Psychologe das Risiko als sehr gering ein. Da es keine Anhaltspunkte für eine Gefährlichkeit des Klägers gebe, sei die Dauerüberwachung einzustellen.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht hat die Berufung zugelassen. Diese kann binnen eines Monats nach Urteilszustellung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim eingelegt werden.

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